Transparenz verdrängt Vertrauen

Transparente Finanzen, Entscheidungswege und Strukturen – Transparenz ist das Gebot der Stunde. Nur so kann man seinem Gegenüber vertrauen. Transparenz bedeutet, dass alles offen für jedermann durchschaubar sein muss. Eine Transparenzgesellschaft setzt auf Information und Kontrolle. Andererseits ist die Fähigkeit vertrauen zu können eine von Geburt an gegebene Grundvoraussetzung für menschliches Zusammenleben überhaupt. Ein Vertrauensbruch gilt als moralisch verwerflich. Vertrauen zu haben bedeutet, trotz fehlendem Wissen eine positive Beziehung zu einem Gegenüber zu haben, die Kontrolle über zukünftige Ereignisse abzugeben und darauf zu vertrauen, dass bestimmte Erwartungen erfüllt werden. Transparenz hingegen bedeutet wissen wollen. Der Philosoph Byung-Chul Han weist darauf hin, dass dort, wo Transparenz hergestellt wird, eben kein Vertrauen wächst. Transparenz verdrängt vielmehr das Vertrauen und verlangt nach immer noch mehr Transparenz; ein zurück kann es nicht geben. Wer dem nicht nachkommt ruft Misstrauen hervor. Dahinter steht letztlich die Forderung, alles der Sichtbarkeit auszuliefern. Das Drängen auf Transparenz ist ein Eingeständnis, dass das Vertrauen verloren gegangen ist, ein Krisenphänomen, das Fragen an eine Lebens- und Organisationskultur stellt. Während Vertrauen die Komplexität des Lebens reduziert, verkompliziert die Transparenz mit ihrer Fülle an Informationen, die man nicht verarbeiten kann oder gar nicht haben möchte. Welche Folgen eine absolute Transparenz und damit die Möglichkeit einer absoluten Kontrolle auf unser berufliches oder privates Leben hat, mag sich jeder selbst ausmalen.

 

Gedankensplitter von Dr. René Löffler, Katholisches Büro Bayern

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