Von Leidenschaft und Verschwendung

Rauschende Weihnacht

Neulich war ich wieder einmal bei meinem Friseur Alain. Bei der Ankunft in seinem Mini-Apartment (ich genieße stolz das Privileg, bei ihm zuhause empfangen zu werden) bot sich mir ein unglaubliches Bild: Überall standen Kisten und Schachteln voller Haarpflegeprodukte. Bei seinem Besuch in Paris hatte er offensichtlich dem Kaufrausch gefrönt und sein Lager ordentlich aufgefüllt. Während ich versuchte nachzurechnen, ob zur schnelleren Amortisation dieser immensen Ausgaben nun wohl die Preise steigen würden, griff Alain in die Kisten und lächelte mich selig an. „Riech nur, wie gut das duftet! Und es macht Haare wie Seide! Ich konnte einfach nicht widerstehen!“. „Haare wie Seide“ klang für mich verlockend genug, um nicht länger über Preissteigerungen nachzudenken und Alain ans Werk gehen zu lassen. Dennoch kam ich nicht umhin zu fragen, ob Leidenschaft uns wohl verschwenderisch macht.

Zahlreiche Indizien sprechen sehr dafür:

In der Weihnachtszeit bemerken Sie es vielleicht sogar an sich selbst: Macht Schenken Ihnen Spaß, sitzt das Geld locker in der Tasche. Für Menschen, für die Sie entflammt sind, haben Sie vielleicht schon über Gebühr Geschenke gekauft. Aber auch im übertragenen Sinn scheint Leidenschaft keinen Sparmodus zu kennen: Verliebte verbringen Nächte ohne Schlaf am Telefon im Turteln mit dem Liebsten. Leidenschaftliche Sportler verausgaben ihre Kräfte im Training. Im leidenschaftlichen Streit verkeilen sich Menschen vor Gericht ohne an Anwaltskosten oder sonstige Verluste zu denken. Mit Energie wird nicht gegeizt. Kräfte und Mittel werden eingesetzt ohne Rücksicht auf Ressourcen, lustvoll wird verschwendet, was da ist und oft noch mehr als das. Ziel ist nicht das Erwirtschaften eines Gewinns. Der liegt in der Zukunft, und die sieht die Leidenschaft nicht. Sie spielt im Hier und Jetzt. Ihr geht es um Befriedigung einer Gier. Der Gewinn ist das Erleben der Lust am Tun und kein Einsatz scheint dafür zu hoch zu sein.

Zweifellos ist das nicht ungefährlich. Leidenschaft ist alles andere als mäßigend. Es ist leidvoll, aus dem Rausch zu erwachen und auf die Trümmer zu blicken, die die eigene Leidenschaft verursacht hat – sei es auch „nur“ das leere Bankkonto. Es ist entsetzlich, wenn aus leidenschaftlichem Zorn Menschen zu Schaden kommen. Diese Zerstörungskraft heiße ich nicht gut.

Aber es ist großartig, wenn aus Leidenschaft Möglichkeiten erwachsen. Wenn Chancen entstehen, weil nicht gerechnet, sondern gehandelt wird. Wenn es Mutige gibt, die es nicht scheuen, unverstanden zu sein, wenn sie sich für ihr Herzensanliegen einsetzen.

Wir könnten Weihnachten nicht feiern, wenn es nicht die Leidenschaft als Ausdruck von Hingabe und Aufopferung gäbe. Keine Mühe scheuen und alles geben aus Liebe – was könnte uns als Menschen mehr wachsen lassen als solche Art von Rausch und Leidenschaft?


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