Von Mut und Vertrauen

Henne oder Ei?

Ich habe eine Freundin, die ist Teil eines Drama-Couples. Gestritten wird in ihrer Beziehung nicht nur laut und tränenreich, sondern auch ganz regelmäßig. Oft genug endet das in einer Trennung. Neulich war es wieder soweit. Die vermutlich nicht nur gefühlt mindestens fünfte Trennung in diesem Jahr war ausgesprochen. Die gute Nachricht: Die beiden liegen sich nach spätestens 24 Stunden immer wieder verliebt in den Armen. Die schlechte Nachricht: Die Nächte nach ihren Trennungen liege ich ohne Schlaf aber mit Handy am Ohr im Bett und tröste meine Freundin. Auch wenn das Drama der beiden mich offensichtlich nur nachts etwas angeht, wundere ich mich sehr über meine eigentlich so besonnene Freundin. Andere Beziehungen hat sie aus weitaus weniger gewichtigen Gründen und nach sehr viel weniger heftigen Streitereien für untragbar erklärt und beendet. In diesem Fall will sie trotz mehrmaliger Trennung im nächsten Sommer heiraten. Ich halte das Unterfangen für gewagt und meine Freundin für sehr mutig. Sie sagt, sie hätte keinen Mut, nur Vertrauen. Ich bestreite das nicht. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Und ich komme nicht umhin zu fragen, worin eigentlich der Zusammenhang besteht: Macht Vertrauen mutig? Oder muss man mutig sein, um vertrauen zu können?

Auf den ersten Blick ist es verführerisch, Mut für ein Verhalten zu erklären, das mehr mit Angst als mit Vertrauen zu tun hat. Als mutig gilt doch, wer Ängste überwindet und sich furchtlos Gefahren aussetzt. Noch mutiger, wer sich geradezu heldenhaft in riskante Situationen begibt und ohne jede Aussicht auf Erfolg sein Leben - physisch oder psychisch - riskiert. Meine Freundin wäre also mutig, weil sie sich bereitwillig dem von außen betrachtet hohen Risiko aussetzt, in nicht allzu ferner Zukunft die Scheidung einzureichen. Derart auf die Bereitschaft zum Risiko reduziert, gebe ich meiner Freundin Recht: Das wäre kein mutiges Verhalten, es wäre einfältig. Mutig wird ihr Schritt aber gerade dadurch, dass sie vertraut.

Nach einer Definition des schweizer Psychologen und Psychotherapeuten Andreas Dick ist Mut immer auch verbunden mit der Hoffnung auf einen höheren Sinn und Zweck und der Zuversicht, diese erfüllen zu können. Nur deswegen lohnt es sich, Gefahren überhaupt einzugehen. Wir begeben uns in Gefahr, weil wir damit für uns oder andere etwas erwirken möchte. Interessant ist, dass diese Zuversicht für Außenstehende keineswegs nachvollziehbar sein muss. Vielmehr geht es um innere Beweggründe und das Zutrauen, mit jedem denkbaren Ausgang, auch mit einem Scheitern, umgehen zu können. Mut bedeutet dann, sich einer Sache und sich selbst ganz sicher zu sein. Genau dieses Vertrauen scheint meine Freundin zu meinen. Es geht nicht um die Hoffnung, dass die Dramen irgendwann aufhören. Sondern um das Vertrauen, damit klar zu kommen. Was mir ein wenig verrückt erscheint, ist für sie von großer innerer Gewissheit getragen.

Wo man umgangssprachlich sagt „Da traut sich einer“, darf man das ganz wörtlich nehmen: Mut heißt dann, sich selber zu (ver-) trauen.  So gesehen, ist vor allem das Selbstvertrauen eine Voraussetzung für Mut. Nur die positive Einstellung zu sich und seinen Fähigkeiten gestattet den Schritt über den Rand.

Aber auch umgekehrt gilt: Vertrauen ist überall da angezeigt, wo es keine Gewissheit gibt. Vertrauen zu entwickeln und zu schenken ist der Schritt ins Ungewisse, den nur tun kann, wer bereit ist, ein Wagnis einzugehen. Wer auf Sicherheit verzichtet und sich der Gefahr aussetzt, enttäuscht zu werden. Genau das nennt man Mut.

Die Frage ist also gar nicht unbedingt, was es zuerst braucht: Mut oder Vertrauen. Vielmehr gilt: „Vertrauen ist Mut“ (ein Aphorismus von Maria von Ebner-Eschenbach) und Mut ist Vertrauen.

Wer vertraut, ist mutig und wer mutig sein will, muss vertrauen können. Der Kern liegt im Selbstvertrauen und im Sich einer Sache sicher sein. Vertrauen und Mut bedingen sich gegenseitig und die Frage nach dem „Was zuerst?“ ist wie herausfinden zu wollen, ob Henne oder Ei zuerst da waren. Am Ende ist es egal.

Bei Gelegenheit frage ich meine Freundin aber mal, was ihr Selbstvertrauen speist. Denn das nächste Drama kommt bestimmt. Und falls sie doch mal entmutigt sein sollte, kann ich sie nachts am Telefon daran erinnern, wie stark sie eigentlich ist.


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